Trinkgeld im Restaurant und bei Amazon

Ein Artikel von Ramón Lang, veröffentlicht am 15. Juni 2020.
Die Lesedauer beträgt ungefähr 3 Minuten.

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Ich bin Schweizer und wohne in Bayern.
Ein Schweizer Franken eben. Viele Texte habe ich nach schweizerischer Schreibweise ohne Scharf-S (ß) verfasst. Dieser Artikel könnte davon betroffen sein.

Gibst Du Trinkgeld im Café oder im Restaurant? Die Sendung „Espresso“ nahm sich dieser Fragestellung an, da derzeit viele auf Bar-Zahlung aufgrund der Corona-Pandemie verzichten. Mit Kartenzahlungen wird auf den Rappen genau der geschuldete Betrag beglichen und Trinkgeld geht dann oft vergessen.

Den ganzen Artikel ist auf SRF.ch nachzulesen.

Wegen der Coronakrise wurde die Limite für kontaktloses Bezahlen mit der Karte auf 80 Franken erhöht. Man braucht nur noch die Karte an einen Terminal zu halten und schon ist die Rechnung bezahlt. […] Das kontaktlose Bezahlen geht so schnell, dass viele dabei schlicht vergessen, etwas Trinkgeld für Bedienung oder Küche draufzulegen. Teilweise fehlt auch die Möglichkeit, den Rechnungsbetrag um ein Trinkgeld zu erhöhen.

Der Wirteverband Gastro Suisse schreibt «Espresso», es lägen keine Zahlen zur Entwicklung des Trinkgelds vor. «Im Gastgewerbe ist das Trinkgeld im Preis inbegriffen; die Abgabe eines sogenannten Overtips ist eine freiwillige Angelegenheit».

srf.ch

Ganz unabhängig von dieser Frage ist für mich klar, dass gute Leistung belohnt werden soll. Sei das in Form eines qualitativ hochwertigen Produkts, einer komfortablen Reise mit ÖV oder Mietwagen oder eben in Form eines angenehmen Aufenthalts in einem Restaurant oder Café.

Darum hinterfrage ich schon viele Jahre das Trinkgeld-Prinzip, weil es hauptsächlich nur in der Gastronomie vorkommt. Das gilt ja beinahe weltweit und ist vermutlich eine Gewohnheit aus alten Zeiten.

Heute ist die Zeit aber eine andere: Neben der Gastronomie, die aufgrund tiefer Löhne natürlich Trinkgeld bekommen müsste, müssten aber sehr viele andere Berufe ebenfalls Trinkgeld bekommen, weil es in den vergangenen 10-20 Jahren zum Trend geworden ist, Menschen mit tiefen Löhnen und zu viel Arbeit zu beschäftigen.
So ist es heute ja nicht einmal mehr möglich, Trinkgelder all denen zu geben, wenn man es versuchen würde:
Im Detailhandel und anderen Branchen wird das durch den Arbeitgeber verboten. Bestellt man etwas bei Amazon oder anderen Händlern, kann man dem Kurier oder Pöstler ein Trinkgeld geben, nicht aber den hart arbeitenden und zu tief bezahlten Logistik-Arbeitern.

Wie im Beitrag des SRF erwähnt wird: Trinkgeld ist eigentlich im Lohn inbegriffen. Dieses „Label“ ist aber heute leider nichts mehr wert, da es nicht stimmt.
Kaufe ich ein MacBook, dann ist dort „Trinkgeld“ für gute Produktqualität im hohen Preis natürlich mehr als genug enthalten. Werde ich im Restaurant gut bedient oder kaufe ich irgendwo ein Produkt, ist das Trinkgeld aufgrund des tiefen Lohns nicht enthalten und der Koch, Logistiker, Kassierer, etc. sieht davon ja sowieso auch nichts – ebenso wie andere im Restaurant tätige, die beispielsweise ein tolles Ambiente eingerichtet haben, die Elektrik instand setzen, Tische und Böden reinigen, etc.

Für mich wird das Trinkgeld also dem ursprünglichen Zweck erstens nicht mehr gerecht und zweitens umfasst es für mich weit mehr als nur ein paar Franken für eine Restaurant-Bedienung.

Es gilt also, nicht nur das Konzept „Trinkgeld“ zu hinterfragen, sondern die gesamte Arbeitsqualität, was Pensum und Lohn – also alle Arbeitsbedingungen – gleichermassen umfasst. Oder eigentlich eher: Der gesamte Konsum und die Finanzstrukturen der jeweiligen Länder müsste überdacht werden, da Löhne schliesslich auch von Mieten, Standorten, Ausbildungen, Steuern, Dumping-Konzernen und vielem mehr abhängig sind.