Schweizer und das Eszett/ Scharf-S

Ein Artikel von Ramón Lang, veröffentlicht am 20. September 2021.
Die Lesedauer beträgt ungefähr 9 Minuten.

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Ich bin Schweizer und wohne in Bayern.
Ein Schweizer Franken eben. Viele Texte habe ich nach schweizerischer Schreibweise ohne Scharf-S (ß) verfasst. Dieser Artikel könnte davon betroffen sein.

In der Schweiz kann man Jahre seines Lebens damit verbringen, seine Texte immer mit «ss» zu schreiben. Theoretisch ist es sogar möglich, von dem Eszett, also dem Scharf-S (ß) nie etwas mitbekommen zu haben, wenn man nie in Deutschland war und sich selten auf deutschen Internetseiten herumtreibt. Auf der Tastatur ist es ja genauso wenig vorhanden wie in Büchern und Zeitungen.

So ähnlich ist es mir ergangen. Dass dieser Buchstaben existiert, weiß ich zwar schon seit Kindesalter – aber nicht von der Schule her, denn dort ist er irrelevant. Die Deutschen und die Österreicher benutzen das Eszett hin und wieder als Ersatz für das Doppel-S. Also statt «Strasse» heißt es in Deutschland «Straße».  Wir mit Deutsch nicht all zu Mühe hat wird sich als Schweizer einigermaßen gut mit dem Eszett zurechtfinden. Wie immer: Übung macht am Ende eben den Meister.

Wie funktioniert es?

Das Eszett wird angewendet «in Wortstämmen, in denen auf einen langen Vokal oder einen Diphthong (Zwielaut) nur ein einfacher, stimmloser s-Laut folgt. Dies gilt jedoch nur, wenn der s-Laut in allen Beugungsformen stimmlos bleibt». So beschreibt es der Duden. Als Grammatikprofi wird man nun sagen: «Ach so, alles klar». Da ich dieser aber nicht bin habe ich mir eine Faustregel zusammengestellt: Immer nach Doppellauten (au, äu, eu, ei, etc.) und meistens, wenn der Vokal vor dem «ss» lang betont wird, kommt ein «ß» hin. Das funktioniert bei meinen Texten in 95% der Fälle.

Im Beispiel «Straße» befindet sich vor dem «ß» ein lang betontes «a», was das Eszett nach sich zieht. Liest man als Deutscher «Strasse», wie es in der Schweiz geschrieben wird, müsste dieser das Wort eigentlich auf «ss» betonen. Etwa ähnlich wie bei dem Wort «Strass-Stein». Nach gleichem Muster verfährt man auch bei den Worten «der Gruß», «das Maß», «der Fußball».

Für den Deutschen ist es damit möglich Worte zu unterscheiden, die in der Schweiz immer mit «ss» geschrieben werden, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Darum, lieber Schweizer, eine Frage; Was ist «die Busse»? Sind es mehrere Linienbusse auf der Strasse? Sind es die Beträge, die man der Polizei bezahlen muss, wenn man zu schnell gefahren ist? Oder ist es doch eher die geistliche Umkehr? Der Deutsche dachte sich nun: «Völlig klar». Busse sind Fahrzeuge, die Reisende mitnehmen. Die geistliche Umkehr wäre demnach die «Buße» und die Rechnung der Polizei wäre theoretisch auch die Buße, heißt in Deutschland aber Bußgeld. Manchen Kindern, die die schweizerische Version von Monopoly spielen, müsste man daher erklären, dass sie nicht mit «Bussen bestraft» werden, die auf der Straße fahren. Das würde nämlich dem einen oder anderen Kind noch gefallen. Da ich als zehnjähriger noch nie Bußgeld bezahlen musste, war mich auch nicht klar, warum Menschen mit Bussen bestraft werden, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Da war es zu dieser Zeit dann tatsächlich das Deutsche Fernsehen, was mir den Unterschied erklärte.

«Ausnahmen»

Nun, meine Faustregel funktioniert aber nicht immer. Das «Erdgeschoss» zum Beispiel wird nicht mit Eszett geschrieben. Eigentlich müsste man das Wort dann auch konsequent wie das Geschoss einer Kanone betonen – tut aber auch niemand. Auch «zulässig» wird mit langem «ä» betont, wird aber trotzdem mit «ss» geschrieben. Das hat vermutlich mit der genauen Definition des Duden etwas zu tun. Echte Ausnahmen sind es daher vermutlich nicht. Bestimmt entsprechen sie der Regel in irgendeiner Art und Weise. Da es nur selten vorkommt, habe ich solche Wörter eben auswendig gelernt. Außerdem ist es gar nicht so schwierig, Texte auch nur mit Wörtern zu schreiben, in denen das Eszett nicht vorkommt.

Rechtschreibkorrektur

Wer die korrekte Anwendung lernen möchte, könnte ja (wie ich) auf die Idee kommen, in einem Schreibprogramm die Worte «Strasse» und Straße» einzutippen, um zu sehen, bei welchem die Korrektur anspricht. Das funktioniert aber nur begrenzt. Denn Worte, die nicht mit Eszett geschrieben werden, werden zwar als falsch markiert, Worte die aber eigentlich mit Eszett geschrieben würden, werden aber nicht als Fehler markiert, wenn man sie mit «ss» schreibt. Das liegt vermutlich entweder daran, dass man es in der Schweiz eben sowieso nie einsetzt, oder es liegt daran, dass man alle Wörter mit Eszett auch mit Doppel-S schreiben darf. Um möglichst viel Verwirrung anzurichten haben sich die Deutschen nämlich einige (tatsächliche) Ausnahmen überlegt.

ss statt ß

All zu begeistert bin ich von der Erfindung eines zusätzlichen Buchstabens (ganz offensichtlich) nicht, wenn man ja auch gut ohne diesen zurecht kommt. Wenn man in Deutschland das Eszett wenigstens konsequent anwenden würde, wäre das für mich kein Thema. Aber es gibt hier leider zu viele Ausnahmen, wo das nicht nötig ist.

Bei Worttrennungen ist es sogar zu unterlassen. Wenn man «Straße» am Ende einer Zeile trennen will, schreibt man nicht «Stra-ße», sondern – wie in der Schweiz – «Stras-se».

Auch optional ist das Eszett, wenn ein Computer den Buchstaben gar nicht schreiben kann. In verschiedenen Schriftarten oder anderen Sprachen kann es vorkommen, dass das Schriftzeichen «ß» nicht vorhanden ist. Dann müsste man stattdessen «ss» schreiben. Gängig war das lange Zeit bei Großbuchstaben. Es liegt auch heute noch – ganz unabhängig vom Vorhandensein des Zeichens – völlig dem Ermessen des Schreibers zugrunde, ob er nun «STRASSE» oder «STRAßE» schreiben will. Auch wenn dies nicht mit dem Computer, sondern per Hand geschrieben wird.

Ebenso bei Namen wird immer wieder mal «ss» statt «ß» geschrieben (zum Beispiel: «Heinz Grosse» satt «Heinz Große»). Das liegt daran, dass früher das Eszett anders verwendet wurde.

Die Geschichte des Eszett ist eigentlich noch ganz interessant, aber etwas zu kompliziert, als dass ich sie in eigenen Worten hier wiedergeben könnte. Allerdings ist die Entwicklung des Buchstabens für die Verwirrungen verantwortlich. Früher, als das Eszett erfunden wurde, war es wohl gängig, es immer (oder fast immer) statt «ss» zu benutzen. Wer schon einmal ein altes Buch in den Händen hielt, hat das bestimmt schon gesehen. Man hat im Laufe der Zeit zwar an der ganzen Doppel-S-Thematik gebastelt, aber bis heute wurde nie eine runde Sache daraus gemacht. Obwohl im 19. Jahrhundert schon (!) darüber debattiert wurde, das Eszett in das Alphabet mit aufzunehmen, ist das bis heute nicht der Fall. Da es computertechnisch gesehen ein Sonderzeichen ist, ist es bis heute nicht weltweit auf allen Computern anwendbar – zumal ja außer die Deutschen und Österreicher niemand dieses Zeichen auf der Tastatur finden kann.

Was ich leider nicht herausgefunden habe ist, warum manche Straßenschilder auch dann «falsch» beschriftet werden, wenn sie nicht mit Großbuchstaben bedruckt wurden. Vermutlich handelt es sich – wie auf dem Foto ersichtlich – um ältere Schilder, bei deren Produzenten damals das Schriftzeichen auch noch nicht existiert hatte.

So treffe ich heute überall auf «ss» wo «ß» sein müsste, und umgekehrt. Es kommt ja schließlich auch noch dazu, dass auch die Deutschen dieses System erst lernen müssen – und da sind sich nun eben auch viele nicht sicher und schreiben im Zweifel dann ein Wort falsch. Diesen Teil der Grammatik durch reines Lesen zu Erlernen, ist daher eher nicht geeignet.

Für mich, als Schweizer in Deutschland, wurde das Eszett ein (mehr oder weniger) normaler Buchstabe. Wenn ich Texte lese, betone ich sie dem Buchstaben entsprechend und so stört es mich innerlich mittlerweile, wenn ich irgendwo «Strasse» lese – sei es in Deutschland oder in der Schweiz. Besonders aber in Deutschland, da sich nunmal die Betonung ändert. Texte, wie diese hier, die sich eigentlich eher an die Schweiz richten, schreibe ich mittlerweile auch nicht mehr mit Doppel-S. Ich würde es aber sehr begrüßen, wenn sich die Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum früher oder später über eine vollständige Einheit einigt. Das würde vielen das Schreiben erleichtern, denn nicht jeder möchte sich interessiert mit so etwas auseinandersetzen – oder kann es auch einfach nicht.