«Du gehst nach Wuppertal»

Ein Artikel von Ramón Lang, veröffentlicht am 23. Juli 2019.
Die Lesedauer beträgt ungefähr 15 Minuten.

Dieser Artikel ist bereits über 2 Jahre alt.
Über die Zeit verändern sich Meinungen. Die Technik, Produkte, Dienstleistungen, etc. entwickeln sich weiter. Bitte berücksichtige dies beim Lesen dieses Artikels.

Ich bin Schweizer und wohne in Bayern.
Ein Schweizer Franken eben. Viele Texte habe ich nach schweizerischer Schreibweise ohne Scharf-S (ß) verfasst. Dieser Artikel könnte davon betroffen sein.

Ich habe keine Ahnung, wie es dazu kam, aber seit ich im August 2018 die Schweiz verlassen habe, sind nun elf Monate vergangen und ein Schuljahr ist definitiv Geschichte und bestanden. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Ich weiss durchaus, wie es dazu kam, aber wie ich es geschafft habe, das weiss ich nicht.

Einige kennen meine Berufungsgeschichte schon, aber bisher habe ich sie nicht besonders vielen erzählt. Es war an einem Sonntag in Lörrach, an dem Gott unmissverständlich mit mir gesprochen hat: „Ramón, Du gehst ans Johanneum“. Hätte ich damals nur gewusst, was mir entgangen wäre, wenn ich dem nicht nachgegangen wäre. Ja, was wäre sonst mit mir geworden, und mit mir und Ramona? Man weiss es nicht.

Wenn Gott mit dir spricht, würde ich nach wie vor voller Überzeugung zu dir sagen: „Tu es! Was immer es ist.“ Aber zum „Wunder-Heil-Mittel“ Christsein gehört eine verdammt lange Packungsbeilage. In dieser steht, dass du als Christ vielleicht mit Füssen getreten wirst.

Lernen

Natürlich hat sich nicht alles nur schlecht entwickelt. Das Lernen gehört zu den Dingen, die sich gut entwickelt haben. Nachdem ich eine wichtige Klausur nicht bestanden habe und daher wiederholen musste, hatte ich für einige Wochen einen viel höheren Lernaufwand. Die Rechnung mit meinen bisherigen Lernerfolgen hätte ganz klar weitere nicht bestandene Tests zur Folge gehabt. Zugute kam nun wahrscheinlich die Sonne, die nach und nach später untergegangen ist. Schon ab 10°C fühle ich mich draussen ziemlich wohl, weshalb ich einige Wochen fast täglich ein bis zwei Stunden draussen war, um Wald zu sehen und zu lernen. Das hat als Lernstrategie so gut funktioniert, dass ich mir Griechisch-Vokabeln, Bibelverse und Bibelinhalte ziemlich gut merken konnte. So gut, dass ich auch überdurchschnittlich gute Noten geschrieben habe. Aber bei allem Erfolg ist irgendwann die Kapazitätsgrenze auch erreicht. So habe ich mich dann immer wieder mal für Erholung entschieden, anstatt für Lernen. Die Wiederholungsprüfung bestanden habe ich aber trotzdem.

Auch bei Griechisch war lange offen, ob ich bestehen könnte. Nachdem ich aber auch da wusste, dass es klappen wird, habe ich das lernen für zwei Wochen vor der Prüfung fast ganz eingestellt. Eine gute Taktik ist das natürlich nicht, und es ist auch nicht zu empfehlen. Aber wie gesagt: das Ende der Kapazität. Ein Dozent sagte in dieser Zeit: Wären die Prüfungen nicht so knapp vor Ende des Schuljahres, würden sich die Leute nicht mehr ausreichend anstrengen im Unterricht. Aber was hat Kapazität damit zu tun? Auch eine wichtige Prüfung in der allerletzten Stunde des Jahres ändert nichts daran, dass Menschen keine Maschinen sind. Durch meine Lernschwierigkeiten bin ich zwar zum prädestiniert, abgestempelt zu werden, aber ich denke, dass ich diese Situation ziemlich gut beurteilen kann. Schliesslich habe ich viele Jahre leistungsgesellschaftliche Erfahrung und sehe, dass es auch anderen manchmal so geht wie mir.

Gemeinschaft & Abschied

Durch meine gezogenen Grenzen habe ich viel mehr Zeit für Gemeinschaft gewonnen. Klar war es mir und Ramona schon zuvor, aber immer wieder müssen wir uns daran erinnern, dass wir aus dieser ganzen Umgebung raus müssen, um uns zu erholen. Zwei bis drei Stunden Abstand bewirken manchmal mehr, als man denkt. Und mit sowas wie Freiheit kann man auch Beziehung und Freundschaft gut unter einen Hut bekommen. In den letzten Wochen habe ich diese Grenzen aber wieder verloren. Doch dazu später.

So gab es einige Begegnungen auch mit anderen Menschen, über die ich mich sehr freue. Ich habe einige tolle Gespräche geführt und die Gelegenheit nutzen wollen, mit dem dritten Kurs in Kontakt zu kommen, der nun in den Dienst eingesegnet wurde und das Johanneum somit verlassen hat. Im dritten Kurs waren viele tolle Menschen, die in meinen kommenden zwei Jahren fehlen werden. Auch Herr Symank, der uns zum Alten Testament unterrichtet hat, wird mir fehlen. Auch von Ronja haben wir Abschied genommen, die sich dazu entschlossen hat, noch vor dem Schuljahres-Ende aufzuhören.

Hin und wieder findet seit einigen Monaten auch ein Männerabend statt, bei dem ich zweimal dabei war und der Platz für Gespräche schafft.

Irgendwann in den vergangenen Monaten sind Mitgliederversammlung und Vertrauensrat im Johanneum eingekehrt. Das sind Kreise, die im Johanneum wichtige Entscheidungen treffen und als Korrespondenz dienen für die Regionen, in denen Johanneums-Abgänger tätig sind. Bei dieser Gelegenheit habe ich Martin getroffen, der im Cevi Basel arbeitet und über den ich mich sehr gefreut habe.

Ramona und ich haben die Hardt für uns entdeckt. Ein grosser Garten im Stadtteil Elberfeld, der mit dem Auto sehr gut zu erreichen ist, viel Schatten bietet und für Möchtegern-Gangster zu langweilig ist. Ein Ort, an dem man sich gut entspannen oder vielleicht auch mal lernen kann. Auch das Cafe Extrablatt in Barmen wurde für uns eine gute Empfehlung. An Sonntagen bekommt man dort ein gutes Frühstücksbuffet.

Veranstaltungen

Einige grosse Veranstaltungen haben unseren Alltag begleitet. Zuerst kam die Stockwerkparty. Jeder Kurs veranstaltet auf seinem Stockwerk einmal im Jahr eine Motto-Party. Unser Motto war Jahrmarkt. So hat jeder aus unserem Kurs sein Zimmer kunstvoll eingerichtet, um dem Motto zu entsprechen. Ich habe mich entschieden, einen Sünd-O-Mat zu entwickeln. Einen Automaten, auf den man seine Hand auflegen kann und der dann deine Sünden ermittelt. Das Programmieren hat Spass gemacht und es ergab sich bei diesem Projekt spontan für mich auch die Gelegenheit, handwerklich und kreativ etwas tätig zu werden.Bei Ramona konnte man sich im Nägel in einen grossen Holzstumpf schlagen messen und Mandeln essen.

Einige Wochen später war in Dortmund Evangelischer Kirchentag. Eine Grossveranstaltung, die sich über mehrere Tage zieht und an der man an tausenden von Angeboten teilnehmen kann, die über die ganze Stadt und in der Messe verteilt sind. An einem der Veranstaltungen haben wir als Johanneum mitgeholfen. Die restlichen Tage konnten und sollten wir an den anderen Veranstaltungen teilnehmen, die wir uns aussuchten. Mit Ramona habe ich ein Kabaret besucht und ein Workshop für inklusive Gottesdienste. An anderen Tagen war ich dann auch alleine unterwegs und habe unter anderem eine Diskussion zum Thema Digitalisierung und ein Lobpreis-Angebot besucht.

Gegen Ende des Schuljahres unter uns das Sommerfest stattgefunden. Ein Fest, das vom dritten Kurs organisiert und durchgeführt wurde. Unter anderem wurde dort auch Sabine Schumacher verabschiedet, die uns ein Jahr zum Neuen Testament unterrichtet hat.

Und zum Schluss kam die Einsegnung. Alle, ausser dem dritten Kurs, haben eine halbe Woche vorbereitet. Doch die eigentlichen Vorbereitungszeiten begannen schon viel früher. In den Tagen vor der Einsegnung wurde im wesentlichen das Haus und die Kirche vorbereitet. Eine Zeit, an der viele von uns hin und wieder zu kämpfen hatte. Organisatorisches im Johanneum zu tun, ist sehr schwierig. Denn alle, die keine Verantwortung haben, mischen sich überall ein, die, die Verantwortung hätten, nehmen sich nicht wahr, alles, was man tut wird kritisiert und vieles hängt einfach an den Studierenden. Natürlich wurden wir vom Hausvater auch stark unterstützt. Aber ein Mann kann sich nunmal auch nicht um 30 Menschen kümmern, zumal er auch eigene Aufgaben hatte.

Das V-Amt

Diese intensive Zeit der Arbeit wird oft als Selbstverständlichkeit gesehen. Den Studierenden wird an einer Veranstaltung zwar schon gedankt für die viele Mühe, aber dennoch ist es selbstverständlich. Sehr viele von uns arbeiten für solche Veranstaltungen den ganzen Tag und halten Ruhezeiten nicht im geringsten ein. Das wäre auch gar nicht möglich, um das alles zu schaffen. Oft höre ich das Argument, dass wir hier auf den hauptamtlichen Dienst vorbereitet werden, aber meines Erachtens gehört zum Dienst auch Pause; Sonntag, Schlaf, Ferien. In meinem Amt als Vertrauensschüler (V) gehe ich diese Schritte nun aktiv an, um sie mit den Dozenten zu besprechen. Denn was im Arbeitsgesetz verboten ist, sollte auch für Ausbildungsstätten wie unsere nicht in Ordnung sein.

Seit einigen Wochen bin ich nun in diesem V-Amt, das mit einem Klassensprecher zu vergleichen ist. Ich organisiere unsere Klassenabende und organisiere, dass unser Kurs über das Geschehen im Johanneum informiert bleibt und das Johanneum über den Kurs. In diesem Amt bleibe ich für ein paar Monate und gebe es danach weiter an den Nächsten. Ein Amt, das mir Spass macht. Denn muss mich nicht einmaligen Gegebenheiten ausliefern lassen, sondern habe Zeit, meine Fähigkeiten zu etablieren und unter Beweis zu stellen. Wenn ich Glück habe, kann ich im neuen Schuljahr auch eine Arbeitszeitleitung übernehmen im Bereich Elektro und Allgemein. Dort würde ich die im Haus anfallenden Aufgaben in diesen Bereichen koordinieren und als Leitung mit den Studierenden erledigen.

Besuchsfahrt

Ich mit Lydia und Youssef

Im Oktober findet wieder Besuchsfahrt statt. Davon habe ich in diesem Beitrag aus dem letzten Jahr schonmal berichtet. Seit einigen Wochen sind wir nun an den ersten Planungen. Dieses Jahr bin ich wieder mit Lydia und Youssef unterwegs und zwei oder drei neuen Studierenden, die dann im ersten Kurs sein werden. An zwei Gottesdiensten in der Umgebung Nümbrecht werde ich dann auch meine erste Predigt halten, die ich nun in den kommenden Tagen fertig schreiben werde. Den Inhalt dieser Predigt haben wir im letzten Tertial mit unserer Dozentin akribisch ausgearbeitet. Voraussichtlich werde ich dieses Jahr alleine in meinem eigenen Besuchsgebiet sein. Lydia und Youssef sind zwar im selben Grossgebiet, sind aber hauptsächlich in anderen Gemeinden zuständig. Darauf freue ich mich ein wenig. Sich zu sehr auf etwas zu freuen ist immer schwierig, da oftmals unerwartete Dinge die Pläne durchkreuzen. Aber sofern ich meine Aufgaben schaffe, fällt diese ganze Organisation der Besuchsfahrt in meinen Gabenbereich und darum gehe ich von einer guten Zeit aus, in der ich mich einbringen kann. Bisher haben Lydia und ich schon einen Besuch bei den Hauptamtlichen in Nümbrecht hinter uns und wissen, was an zu erledigenden Diensten auf uns zukommen wird.

Arbeitszeit

Seit letzter Woche ist der erste Kurs fast alleine im Johanneum. Der zweite Kurs macht Praktikum in Jugendlagern und der dritte Kurs ist bereits ausgezogen. In den insgesamt drei Wochen Arbeitszeit renovieren wir die Zimmer am Johanneum und erledigen viele andere Arbeiten am Gelände und in den Gärten. Seit einigen Wochen arbeite ich an neuen Flucht- und Rettungsplänen für das Johanneum. Daran war ich nun auch gut eine Woche ganztags beschäftigt. Nun habe ich nun auch die Gelegenheit ergriffen, mit Ramona die eine oder andere Arbeit zu erledigen. Bisher habe ich gemeinsame Arbeiten immer vermieden, da wir einerseits auch unabhängig voneinander Dinge tun wollen, aber auch um nicht ständig gesagt zu bekommen, dass nichts mit anderen tun. Da wir aber im Dienst auch zusammen arbeiten möchten, möchte ich diese Stimmen nun ignorieren und manche Dinge auch gemeinsam mit ihr tun. Vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, auch einmal eine Gesamtleitung für irgendetwas mit ihr zu übernehmen.

Finanzen

Einer dieser Aspekte, die es uns nicht einfach machen, sind die Finanzen. Eigentlich ging es uns fast ein Jahr lang finanziell sehr gut. Wir haben am Johanneum angefangen mit der Voraussicht, ein Jahr bezahlen zu können. Obwohl viel Geld für diverse Nachzahlungen angefallen war, konnten wir beide nach einem Jahr schon zwei Jahre finanzieren. Zu verdanken ist das einigen Freunden und der Familie, die uns in unserem Vorhaben regelmässig unterstützen.

Eine aktuelle Hochrechnung sagt ein Defizit von insgesamt knapp € 2’000.- voraus bis zum Ende der Ausbildung und für uns beide zusammen. Einige Ereignisse haben dazu geführt, dass wir uns wegen des Geldes Sorgen machen musste. Daher können wir uns über ein vergleichsweise kleines Gesamtdefizit freuen. Insgesamt habe ich einige tausend Franken und Euro verloren. Beispielsweise durch den Diebstahl meines Laptops oder eine hohe Busse. Generell hatten viele Kosten mit der Vergangenheit zu tun.


Ausblick

Dieses Mal konnte ich nicht viel positives erzählen. Das Leben hier ist hart, und manchmal habe ich das Gefühl, in der dritten Klasse einer Drei-Klassen-Gesellschaft zu sein. Vor Jesus sind wir alle gleich, heisst es, weshalb wir uns beispielsweise bei der Mahlfeier auch mit Du ansprechen. Aber im Leben scheint das anders zu sein. Ich versuche, mich für Dinge einzusetzen, die ich ändern kann. Dass sich manche Dinge ändern lassen, aber man bei Anderen auch keine Chance hat, hat sich beim vergangenen Forum gezeigt, von dem ich auch mal berichtet hatte.

Obwohl die Gemeinschaft ein grosses Geschenk und eine grosse Herausforderung zugleich ist, gibt es mir Sicherheit zu wissen, welche Menschen mich bis an das Ende der Ausbildung begleiten werden. Es ist gut zu wissen, dass Menschen da sind, denen ich manche Dinge erklären kann, mit denen ich auch mal nicht gut umgehen kann.

Nach noch ein paar Tagen Arbeitszeit bei Höchstwerten von 38°C fahren Ramona und ich erstmal nach Nürnberg und danach nach Basel. Ich freue mich sehr auf Ruhe, auf die Zeit mit Ramona und die Möglichkeit, auch meine Familie und Freunde wieder zu sehen.

Ich wage es nicht darüber nachzudenken, wie es im zweiten Schuljahr weitergeht. Es warten wieder viele grosse Veranstaltungen auf uns und viele Dinge, über die ich selbst noch nichts weiss. Ich hoffe aber, dass einiges etwas leichter wird, da ich nicht mehr täglich Vokabeln und Bibelverse lernen muss. Bzw., dass ich nicht hinterher-lernen muss, sondern mit den anderen auf dem gleichen Stand sein werde. Bevor es aber mit Unterricht los geht, sind wir als erster Kurs noch eine Woche in Puschendorf mit unserer Dozentin Frau Walter, mit der wir uns über unsere Biografie austauschen werden.