1000km mit dem Ninebot G30DII

Ein Artikel von Ramón Lang, veröffentlicht am 8. September 2023.
Die Lesedauer beträgt ungefähr 13 Minuten.

Ursprünglich war es eine Frage des Arbeitsweges. Irgendwie muss ich um zwei Uhr morgens gut zehn Kilometer zurücklegen können, auch wenn keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Die Abwägung von Kosten und Nutzen hat ergeben, dass ein E-Scooter wohl die beste Wahl ist. Ein zweites Auto wäre zu teuer und auch nicht realistisch, ein Motorrad oder Roller ebenfalls nicht und ein Fahrrad kam nicht infrage, da ein motorisierter Antrieb für mich Voraussetzung ist. So schön Fahrradfahren auch sein mag; schließlich hat nicht jede Nacht milde 15°C.

Auf der Suche nach einem geeigneten Modell schien die Wahl einigermaßen offensichtlich. Egal, wo man sucht: Die verschiedenen Modelle werden meistens mit einem Modell von Segway/ Ninebot verglichen, da diese als die besten gelten. Meistens wurde damals noch mit dem Modell G30D verglichen. Das hat mit der versprochenen Reichweite etwas zu tun: Bis zu 65km soll mit einer Akkuladung möglich sein. Außerdem soll der Ninebot G30D und G30DII eine Steigung von bis zu 20% überwinden. Mal sehen, was sich etwa 1000km und ein Jahr später für ein Bild ergeben hat.

Nicht ohne Grund (dazu gleich) fahre ich heute mit einem Modell von Egret. Auch damit bin ich mittlerweile 1000km gefahren. Das Fazit der einzelnen Modelle ist zwar mehr oder weniger klar. Das Fazit zum Thema „E-Scooter“ wird am Ende dieses Artikels aber offen bleiben.

Die ersten Wochen

Ausschlaggebend war die hohe Reichweite, weshalb ich mich für dieses Modell entschieden habe. Auch die versprochene Leistung war wichtig, mit der ich Steigungen überwinden kann – einerseits auf den letzten 100m bis zu mir nach Hause, aber auch für Steigungen in Basel und bei meiner Familie.

Obwohl ich den Kauf nicht bereue, bin ich doch sehr enttäuscht über die maßlos überzogenen Versprechungen des Herstellers. Erstens schafft der E-Scooter Neigungen von 20% bei weitem nicht und zweitens liegt die realistische Reichweite bei etwa 40-45km. Ich habe beim Hersteller nachgefragt, warum Angaben gemacht werden, die nicht realistisch sind und darauf hingewiesen, dass potentielle Kunden ja durchaus Ehrlichkeit und Transparenz schätzen. Dabei muss ich noch erwähnen, dass der E-Scooter für ein zulässiges Gesamtgewicht von bis zu 100kg ausgelegt ist. Ich wiege 80kg und schöpfe daher noch nicht einmal diese Grenze aus.

Insgesamt dreimal habe ich den Hersteller kontaktiert. Aber wie das eben heutzutage so ist: Antwort bekommt man natürlich keine. Was meinen Arbeitsweg betrifft, hat der E-Scooter aber meistens gute Arbeit geleistet. Steigungen muss ich nicht überwinden und die Höchstgeschwindigkeit von 20km/h kann ich fast ohne Halt bis zum Ziel halten. Das ist für später in diesem Bericht noch eine relevante Information.

Natürlich habe ich mich über den Diebstahlschutz Gedanken gemacht. Ich habe mich für das sicherste Fahrradschloss entschieden, das derzeit auf dem Markt ist. Natürlich ist auch das keine Garantie. Es handelt sich aber um ein Bügelschloss und ich war erst skeptisch und aber ziemlich schnell positiv überrascht, dass ich den E-Scooter fast überall abschließen kann, obwohl ein Bügelschloss ja nicht flexibel ist.

Zusätzlich habe ich einen Apple AirTag gekauft. Eine schlaue und kleine Erfindung, mit der mein E-Scooter bei einem Diebstahl oder Verlust lokalisiert werden kann. Ein AirTag ist nur ein bisschen größer als eine Münze (für Schweizer: etwa so wie ein Fünfliber) und passt darum in das Gehäuse am Lenker, wo auch die Steuerung und das Display verbaut sind. Mit dem entsprechenden Werkzeug kann dieses geöffnet werden und seither funktioniert der AirTag tadellos. Nutzen musste ich ihn zum Glück noch nie, aber sollte der E-Scooter einmal gestohlen werden, würde ich das über mein iPhone ziemlich schnell mitbekommen. Aber am Ende hat beides keinen Nutzen gebracht. Der Ninebot kann einfach auseinandergeschraubt werden und dadurch haben Diebe ein leichtes Spiel. Ein noch so sicheres Schloss bringt dann keinen Nutzen, wenn das Fahrzeug innert weniger Minuten demontiert und vom Schloss entfernt werden kann.

Zusätzlich zum Arbeitsweg hat sich der E-Scooter auch für kürzere Strecken in die Stadt oder zum Bäcker bewährt. Da ich schneller in der Stadt bin als mit der U-Bahn, benutze ich ihn daher oft auch für diese Strecke. Das funktioniert deshalb auch gut, weil es in Fürth ausreichende Möglichkeiten gibt, Fahrräder oder E-Scooter abschließen zu können. In Basel, wo das Fahrrad, bzw. Velo allgegenwärtig ist, fehlen solche Möglichkeiten hingegen oft. Das hat sich in den letzten Jahren zwar auch etwas verbessert, doch besonders in der Innenstadt ist es nicht immer einfach, einen geeigneten Ort zu finden oder an einen heranzukommen, da so viele Fahrräder abgestellt (und vermutlich herrenlos) sind.

Auch in Zügen ist der E-Scooter gut zu transportieren. Hier hat der E-Scooter einen Vorteil gegenüber Fahrrädern, da er in Deutschland und der Schweiz als Gepäck gilt, wenn er zusammengeklappt wird. So kann er auch tatsächlich wie Gepäck transportiert werden, da er in den Gepäckfächern der ICE’s und IC’s gut unterkommt – obwohl der Ninebot G30D (II) von allen Modellen vermutlich am meisten Platz einnimmt. Sehr störend ist jedoch der Lenker. So gut wie alle E-Scooter haben den Nachteil, dass sich Lenker nicht einklappen lassen. Dadurch nehmen sie viel Platz ein und lassen sich in engeren Gängen nur sehr mühselig transportieren. Da ich oft in die Schweiz fahre, ist das bereits ein Ausschlusskriterium für mich. Übrigens gibt es zwar auch größere und bessere Modelle, doch viele davon haben keine Straßenzulassung.

Nach 1000km

Es ist eine ganze Weile vergangen, bis der E-Scooter zuhause einen Abstellplatz gefunden hat. Denn dieser muss einigen Anforderungen entsprechen: Da nicht wie bei einem E-Bike der Akku entnommen werden kann, muss der E-Scooter abgestellt werden, wo eine Steckdose vorhanden ist. Auch an einem vor Witterung geschützten Ort müsste er stehen, da tiefe Temperaturen entgegen der Herstellerangaben nicht ganz einfach sind (dazu noch später). Zu bedenken ist auch, dass der E-Scooter je nach Verwendung feucht und schmutzig ist. Die Wohnung putzen will man vermutlich deswegen nicht jedes Mal. Mit einer Garage wäre das schnell und einfach gelöst, aber wir wohnen in einem Block ohne Garagen. Daher habe ich nach langer Suche in der Wohnung einen Ort gefunden, wo alle Kriterien abgedeckt werden. Tote Ecken gibt es vielleicht in vielen Wohnungen, aber sie sind eben unauffällig. Den Teppich habe ich bestellt und auf die passende Größe zugeschnitten. Bisher habe ich es auch geschafft, den Scooter von der Eingangstür bis zum Platz ohne Schmutz zu fahren.

Nach 1000km habe ich nun immerhin alle vier Jahreszeiten mit dem E-Scooter befahren. Im Wesentlichen macht ja die Temperatur und die winterliche Witterung einen Unterschied. Der Ninebot G30D II soll auch bei tiefen Minustemperaturen draußen abgestellt (gelagert) werden können. Das kann ich so leider nicht bestätigen; bis minimal 0°C blieb der E-Scooter jeweils draußen abgestellt, darunter jeweils innen bei Raumtemperatur. Ein enormer Leistungsabfall war unter 5°C zu beobachten; Hier hat der E-Scooter sichtlich Mühe, auf die Höchstgeschwindigkeit zu gelangen. Auch die Reichweite litt stark: Bis zu 30km war bei diesen Temperaturen realistisch noch möglich – weniger als die Hälfte(!) von dem, was der Hersteller angibt. Aus diesem Grund weiß ich bereits jetzt, dass ich eines Tages die intensive Recherche erneut betreiben werde und nicht direkt wieder vom selben Hersteller einen E-Scooter kaufe.

Wenn aber der Reifendruck regelmäßig angepasst wird und der E-Scooter nicht über mehrere Stunden tiefen Temperaturen ausgesetzt wird, verringert sich die Reichweite auch nach 1000km nicht merklich.

Man liest bezüglich der Reichweite immer wieder, dass diese von vielen Faktoren abhängig ist. Das stimmt natürlich. Wie bereits erwähnt fahre ich überwiegend auf flachem Gelände zur Arbeit, bei 80kg Fahrergewicht und sehr konstanter Geschwindigkeit ohne viele Bremsungen. Das sind sehr gute Bedingungen. Und selbst wenn die Witterung dazu auch noch ideal ist schafft der E-Scooter dennoch nicht mehr als etwa 45km. In der Realität meistens weniger, da man die Reichweite ja nicht immer komplett ausfährt und vorher laden muss. Die Entschuldigung „Viele Bedingungen“ gilt also eigentlich nicht bei einer solch großen Abweichung. Aber am Ende hilft es nichts, sich darüber zu ärgern. Dagegen vorgehen kann man nicht, außer man kauft eben ein anderes Modell. In den vergangenen zwei Jahren hat sich da zum Glück viel getan.

Der Diebstahlschutz spielt generell bei E-Scootern eine wesentliche Rolle. Denn es ist leider kaum möglich einen E-Scooter sicher abzuschließen. Da man solche Fahrzeuge mit einfachem Werkzeug an den entscheidenden Stellen demontieren kann, stellt sich eigentlich nur die Frage, welchen Teil man abschließt, und welcher gestohlen wird. Im Prinzip wie auch bei Fahrrädern. Der sicherste Schutz ist daher entweder ein bewachter Fahrradstellplatz oder ein nicht öffentlich zugänglicher Ort.

Gegen das Fahrgefühl und die Sicherheit kann ich nur wenig einwenden. Das Fahrzeug scheint stabil gebaut zu sein und mir sind keine Fälle bekannt, bei denen Schweißnähte oder ähnliches gebrochen sind. Auch der Ständer ist zwar einfach, aber auch stabil. Was dagegen eher keinen Sinn macht ist die Energierückgewinnung. Sobald man mit der Beschleunigung aufhört, fängt der E-Scooter mit Bremsen an, um diese Energie zurückzugewinnen. Das ist eigentlich offensichtlicher Unsinn, weshalb ich mich auch wundere, warum viele Hersteller den Kunden zu dieser Funktion zwingen. Bremsenergie zurückzugewinnen ist immer sehr viel weniger effektiv, als Energie nicht zu verbrauchen. Statt ein Fahrzeug ausrollen zu lassen, muss man also aktiv Gas geben. Vor allem im Vergleich zu einem E-Scooter von Egret, bei dem keine Rückgewinnung vorhanden ist, bestätigt sich diese Theorie.

Ein zweiter Nachteil dieser Funktion ist die erhebliche Beeinträchtigung der Sicherheit. Jedes Kind weiß, dass man die Hand nach rechts streckt, bevor man rechts abbiegt. Das ist bei all diesen Modellen nicht möglich. Bevor man seine Hand wieder an den Lenker legen kann, ist man schon fast im Stillstand. Dadurch wird das Ausstrecken des Arms verunmöglicht. Trotzdem werden alle diese Fahrzeuge im Verkehr offiziell zugelassen. Zwar ist es mittlerweile Trend geworden, Blinker einzubauen. Doch diese werden von anderen Verkehrsteilnehmern kaum wahrgenommen, da sie sehr klein sind.

Wem einfach nur die Grundlagen wichtig sind, der kann mit diesem E-Scooter also sicherlich zufrieden werden. Ich würde den Ninebot G30D oder G30DII nicht empfehlen. Da gibt es weit bessere Alternativen zu gleichen Preisen, die auch noch in Deutschland und der Schweiz hergestellt werden und daher oder aus anderen Gründen wesentlich nachhaltiger sind. Es hat sich gezeigt, dass der Hersteller dieses E-Scooters in Deutschland immer wieder Funktionen deaktiviert, die eigentlich sinnvoll wären. Beispielsweise ein Tempomat, der auf langen und kalten Strecken von Nutzen wäre und auch der Reichweite zugute käme. Im Punkt Sicherheit deaktiviert der Hersteller beispielsweise ein Tagfahrlicht, was natürlich ebenfalls sehr sinnvoll wäre und bei Autos schon heute in vielen Ländern Pflicht ist. Es gab viele Fälle, bei denen ein Softwareupdate dazu führte, dass der Ninebot gar nicht mehr benutzt werden kann. Auf solche Systeme zu vertrauen, ist Unsinn. Selbst bei Fahrrädern wird es immer mehr Mode, dass diese mit einer App gekoppelt werden (müssen). Ist der Hersteller insolvent, sind solche Fahrzeuge zum Teil sofort nutzlos.

Ganz grundsätzlich würde ich sagen, dass E-Scooter heute noch nicht für seriöse Zwecke zu gebrauchen sind. Also beispielsweise um als vollwertigen Ersatz für ein Auto oder Fahrrad zu dienen. Spannende Ansätze gibt es immer mehr. Aber gleichzeitig wird auch immer mehr verbaut, was Preise nach oben treibt und viele Nutzer gar nicht brauchen.